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Lehmbau – Nischenthema oder Teil der Bauwende? Teil 1

In den letzten Wochen haben wir uns intensiv mit dem Thema Lehmbau beschäftigt. Passt dieser Baustoff zu unseren Leitlinien des einfachen, gesunden und nachhaltigen Bauens? Hat Lehmbau das Potential dazu, den Weg aus der Nische zu finden? Ist Lehm für die industrielle Herstellung von Bauprodukten geeignet, und kann somit Lehm zur Bauwende beitragen? Hin zu einem zirkulären Bauen, in dem Baustoffe nach einem langen Lebenszyklus sortenrein wiederverwertet werden.

Was ist dran am gesunden Raumklima, und lässt sich Lehm einfach verarbeiten?
Das wollten wir wissen, und haben uns auf den Weg gemacht!

Zunächst besuchten wir Frank Haverkamp in seiner Lehmsteinmanufaktur in Bohmte.
Hier erfuhren wir viel Grundsätzliches zum Thema:

Bauen mit Lehm

Frank Haverkamp berichtete uns, dass Lehm ein Gemisch aus Ton, Schluff (Feinstsand) und Sand sei, und das Beimengen von größeren Gesteinspartikeln (Kies, Steine) sowie von organischem Material enthalten sein kann.

In unmittelbarer Nähe zur Hasko Lehmstein-Manufaktur wächst auf dem Feld Schilf: Schilf ist ein natürlicher, umweltfreundlicher Isolier-Baustoff aus Schilfrohr. Frank Haverkamp erläuterte uns, dass die hervorragende wärmedämmende Wirkung von Schilfrohr vor allem auf dem Umstand beruht, dass sich in jedem einzelnen Schilfrohrstengel ruhende Luft befindet. Das Material Schilfrohr sei in Herstellung und Anwendung überaus umweltfreundlich und wächst jährlich in großer Menge auf seinem Feld nach. Es sei für die Pflege der Schilfgürtel wichtig, dass das Schilf jährlich im Winter gemäht wird, sagt der Lehmbaufachmann.

Frank Haverkamp, der sich, seit mehr als 25 Jahre mit dem Lehmbau beschäftigt, erzählte uns, dass der Ton ein Verwitterungsprodukt aus der Gesteinsschicht unserer Erde ist. Er wirke als Bindemittel, das die übrigen Partikel miteinander verbindet. Schluff und Sand sind somit nur Füllstoffe. Überwiegt der Tonanteil, spricht man von einem fetten Lehm. Überwiegt der Sandanteil, handelt es sich um einen mageren Lehm.

Laut Haverkamp ist Lehm neben dem Baustoff Holz der älteste Baustoff der Menschheit. Lehmbautechniken sind seit mehr als 9000 Jahren bekannt. Bis heute sei Lehm als Baustoff erhalten geblieben, so dass ca. 1/3 der Menschheit in Lehmhäusern wohnt. Viele auch hierzulande traditionelle Bauweisen basieren auf dem Lehmbau, der heute aufgrund seiner Umweltverträglichkeit und seiner baubiologischen Vorteile eine Renaissance erfährt.

Aït-Ben-Haddou sei, so Haverkamp, eine befestigte Stadt am Fuße des Hohen Atlas im Südosten Marokkos. Der Ortskern sei seit dem Jahr 1987 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Der Ort liegt südöstlich von Marrakesch in etwa 1300 m Höhe. Das Dorf besteht aus mehreren eng aneinander gebauten und teilweise ineinander verschachtelten Wohnhäusern. Die Lehmmauern ruhen auf Felsen und haben einen Sockel aus Findlingen. Die Wohnungen sind allesamt um Innenhöfe herum gebaut, durch welche Licht und Luft in die Wohnräume gelangt.

Gustav von Bodelschwingh – Der „Lehmbaupastor“

Haverkamp erzählt uns auch vom ,,Lehmbaupastor‘‘. Bodelschwingh stamme aus der Nähe von Bünde, also ca. 40km von uns. Dieser habe eine Zeit lang als Missionar in Afrika gelebt, und lernte dort die besondere Einstellung der dortigen Bevölkerung zum Bauen kennen: Man baute sein Haus als Lebensgrundlage in der Gemeinschaft mit anderen, mit der Familie, der Nachbarschaft sowie Freundinnen und Freunden in Handarbeit mit vorhandenem Material.

Nach dem 1. Weltkrieg, also mit einhergehender Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, und Wohnungsnot setzte Bodelschwingh seine Erfahrungen des nachbarschaftlichen Bauens und der traditionellen Lehmbautechnik gezielt zu sozialen Aufbauprogrammen in Deutschland ein. Von der Heimstätte Dünne, dessen Mitbegründer Gustav von Bodelschwingh war, entstanden in den 1920er Jahren mehr als 500 Eigenheime in Ostwestfalen und im Ruhrgebiet, so Haverkamp.

Das Dünner-Lehmbrote-Verfahren sei eine Lehmbautechnik, mit der ohne viel Geld, jedoch mit erheblichem Personalaufwand, Häuser errichtet wurden. Die Lehmbrote (etwa so groß wie ein Ziegelstein) wurden auf Tischen mit Händen oder mittels einer Strangpresse geformt und feucht im Mauerverband ohne Mörtel verlegt. Zur besseren Putzhaftung wurden mit Fingern oder Stöcken kleine Löcher gebohrt und auch kleine Steine eingebracht. Als Wetterschutz dienten zwei Lagen Kalkputz auf den Außenwänden.

Vor- und Nachteile des Baustoffes Lehm

Dann erzählte uns Frank Haverkamp etwas über einige Nachteile, aber auch über die vielen Vorteile des Baustoffes.

Nachteile

Lehm ist kein genormter Baustoff

Lehm weise je nach Fundort unterschiedliche Eigenschaften auf und müsse deshalb je nach Verarbeitungstechnik unterschiedlich zusammengesetzt sein. Es sei also notwendig, seine Zusammensetzung zu kennen, um die Eigenschaften beurteilen und gegebenenfalls durch Zusätze verändern zu können.

Lehm schwindet beim Austrocknen

Durch die Verdunstung des Anmachwassers, das notwendig ist, um Lehm verarbeiten zu können und seine Bindekraft zu aktivieren, reduziert sich sein Volumen, es entstehen „Trocken-“ bzw. „Schwindrisse“. Das lineare Trockenschwindmaß beträgt beim Nass-lehmverfahren etwa 3-12% und beim Stampflehm bis zu 2%. Das Schwinden könne jedoch durch Reduzierung des Wasser- sowie des Tonanteils und durch Optimierung der Kornzusammensetzung wesentlich verringert werden, so Haverkamp.

Lehm ist nicht wasserfest

Lehm muss deshalb insbesondere im feuchten Zustand vor Regen und vor Frost geschützt werden. Ein dauerhafter Schutz von Lehmwänden vor Nässeeinwirkung kann durch konstruktive Maßnahmen (Dachüberstand, Spritzwassersockel, horizontale Isolierung gegen „aufsteigende Nässe“) und durch entsprechende Oberflächenbehandlungen (Anstriche und Putze) erreicht werden.

Von Frank Haverkamp frisch vermörtelte Lehmsteine
Wir nahmen die von Frank Haverkamp frisch vermörtelten Lehmsteine unter die Lupe.

Vorteile

Lehm reguliert die Luftfeuchtigkeit

Lehm könne schnell Luftfeuchtigkeit aufnehmen und diese bei Bedarf wieder abgeben. Dadurch reguliert er die Feuchtigkeit der Raumluft und trägt somit zu einem gesunden Raumklima bei. Untersuchungen des Forschungslabors für Experimentelles Bauen, Universität Kassel (FEB), ergaben, dass ungebrannte Lehmsteine (sogenannte Grünlinge) innerhalb von zwei Tagen etwa 30mal so viel Feuchtigkeit aufnehmen wie gebrannte Ziegel, wenn die relative Feuchte der Raumluft von 50% auf 80% steigt. Die Lehmsteine erreichen bei einer Raumluftfeuchte von ca. 95% nach 30 bis 60 Tagen eine maximale Feuchtigkeit, die 5 bis 7% beträgt (Gleichgewichtsfeuchte).

Auch nach 6-monatiger Lagerung bei 95% relativer Luftfeuchte in einer Klimakammer wurden sie nicht weich (dies wäre erst bei ca. 11-15% Wassergehalt möglich). Messungen über einen Zeitraum von 5 Jahren in einem Wohnhaus in Kassel mit Wänden aus Lehmsteinen, Lehmsträngen bzw. Leichtlehm, ergaben, dass die relative Luftfeuchtigkeit in den Wohnräumen das ganze Jahr über nahezu konstant war. Sie betrug im Mittel 50% und schwankte lediglich um 5%. Diese konstante Luftfeuchtigkeit erzeugt ein äußerst angenehmes und gesundes Wohnklima. Sie verhindert ein Austrocknen der Schleimhäute, reduziert die Feinstaubbildung und wirkt somit vorbeugend gegen Erkältungskrankheiten.

Lehmbau Innenwand, kleines Fenster
Haverkamps Traum sei ein Tiny-Haus komplett aus Lehm, so schwärmt er.
Lehm speichert Wärme

Lehm speichert, ähnlich wie andere schwere Baustoffe, Wärme und kann somit zur Verbesserung des Wohnklimas und bei passiver Sonnenenergienutzung zur Energieeinsparung beitragen.

Lehm spart Energie und verringert die Umweltverschmutzung

Lehm benötigt bei der Aufbereitung und Verarbeitung im Gegensatz zu anderen Baustoffen sehr wenig Energie und trägt somit kaum zur Umweltverschmutzung bei, er braucht nur etwa 1% der Energie, die für die Herstellung von Mauerziegeln oder Stahlbeton notwendig ist.

Lehmbau, Lehmputz, Innenwand
Frank Haverkamp streichelt seinen Lehmputz – Ja, man merkt ihm seine Leidenschaft an!

Lehm ist stets wiederverwendbar

Der ungebrannte Lehm ist jederzeit und unbegrenzt wiederverwendbar. Trockener Lehm braucht nur zerkleinert und mit Wasser angefeuchtet zu werden und schon lässt er sich wieder verarbeiten. Lehm kann im Gegensatz zu anderen Baustoffen niemals als Bauschutt die Umwelt belasten.

Lehm spart Baumaterial- und Transportkosten

Auf den meisten Baustellen in Mitteleuropa fällt Lehm beim Aushub der Keller und/oder der Fundamente an. Enthält er nicht zu viel Ton und keine zu großen Gesteinspartikel, so kann er im erdfeuchten Zustand mit den meisten Lehmbautechniken direkt eingesetzt werden. Enthält er zu viel Ton, so muss er ‚gemagert‘, das heißt z.B. mit Sand vermischt werden. Da bei Verwendung des Bodenaushubs der Abtransport entfällt, entsteht eine nicht unwesentliche Einsparung an Transportkosten und Umweltverschmutzung. Ist kein Lehm auf der Baustelle vorhanden, so kann er häufig preiswert von einer nahegelegenen Ziegelei geholt werden. Bei Sand- und Kiesgruben entsteht Lehm als ‚Abfallprodukt‘ beim Auswaschen. Allerdings hat dieser Lehm in der Regel einen hohen Anteil Schluff.

Wir danken Frank Haverkamp für seine ausführlichen Informationen zur Geschichte des Lehmbaues, über die Infos zu Vor- und Nachteilen beim Bauen mit Lehm und das Teilen seiner Leidenschaft für die ökologische Bauweise.

Adresse: Frank Haverkamp, An Brefords Tannen 2, 49163 Bohmte